Der Darmstädter Wilhelminentunnel (Citytunnel) ist die zentrale Verkehrsachse unter dem Luisenplatz. Gleichzeitig entstand aus dieser Verkehrsführung das Problem einer konzentrierten Luftbelastung durch den stetigen Verkehr. Die Initiative schlägt vor, eine vertikale Begrünung der Wände – dort, wo es verkehrstechnisch möglich ist – mit Moos und widerstandsfähigen und nicht pflegeaufwendigen Stauden. Ein Tröpfchenbewässerungssystem und ein Tageslicht-LED-System garantieren deren Wachstum.

Ein erster Mooswand-Prototyp zur Erprobung verschiedener Materialien und Moose ist seit Frühjahr 2019 im Garten der Vielfalt (in der Klause) in Betrieb und kann zu den Klausenöffnungszeiten besichtigt werden. Einblicke und Infos dazu findet ihr hier https://fdschneider.de/mooswand/

Mooswand-Prototyp im »Garten der Vielfalt« in der »Klause« am Hbf Darmstadt

Das Konzeptpapier

Im Herbst 2019 haben die Biologen Kilian Lingen und Dr. Florian Schneider in Kooperation mit der Initiative ein umfassendes Konzeptpapier zur Umsetzung einer Tunnelbegrünung erarbeitet und einen Prototyp für die Mooswand entwickelt.
Das Konzeptpapier kann hier als PDF heruntergeladen werden.

Bild: Vertiko GmbH – Fotograf: Bela Namyslik

Die Idee

Städtische Grünflächen stellen wichtige Ökosystemfunktionen für die Menschen bereit. Klassischerweise werden Bäume und Grünanlagen zur Regenwasserfiltrierung und Flächenentsiegelung, zur lokalen Klimaregulation, zum Lärmschutz, aber auch zur Luftreinigung diskutiert. In der Stadtplanung stehen Grünflächen in direkter Konkurrenz zu anderen Notwendigkeiten, wie dem Wohnungsbau, Gewerbeflächen und Wegenetz und Infrastruktur. Vertikale Begrünungen an Fassaden und Wänden stellen ein vielversprechendes Konzept dar, um Grünanlagen außerhalb dieser Flächenkonkurrenz zu realisieren. Die ökologischen Funktionen und Dienstleistung, die Pflanzen bereitstellen, können damit auch an stark verdichteten Standorten genutzt werden.


Entwurf der Initiative: Moos- und Pflanzenwände mit strukturierenden Stauden

Pflanzen tragen auf vielfältige Weise zur Reduzierung von verkehrsbedingten Luftschadstoffen bei. Dabei spielen neben der physikalischen Filterung durch die vergrößerte Oberfläche und die damit einhergehende Luftbefeuchtung, auch der Stoffwechsel der Pflanzen und der auf dem Laub („Phyllosphäre“) und im Wurzelraum („Rhizosphäre“) lebender Mikroorganismen eine Rolle. Die Luftschadstoffe können unter bestimmten Umständen in den biologischen Stoffkreislauf aufgenommen und vollständig abgebaut oder unschädlich gebunden werden. Diese ökologische Schadstoffextraktion wird als ‚Phytoremediation‘ bezeichnet.

Das Konzeptpapier schlägt die Umsetzung einer vertikalen Begrünung mit Moosen und Farnen im Citytunnel Darmstadt zur Reduktion von Stickoxiden und Feinstaub (und anderen Luftschadstoffen) in der Hügelstraße vor. Zusätzlich dient die Anlage dem Lärmschutz und der Verbesserung der allgemeinen Luftqualität durch Befeuchtung und Abkühlung.

Tunnelbegrünung als sozial-ökologisches Projekt

Das Potential einer solchen Anlage für die Stadt Darmstadt geht weit über die Schadstoffreduktion hinaus. Der »Grüne Citytunnel« basiert auf dem Gedanken: »Jede neue Idee benötigt eine neue Form«. Die vertikale Begrünung soll als »Kunstwerk« ökologisches Verhalten inspirieren, ein Umdenken anregen und eine hohe Identifikation mit der Stadt Darmstadt bewirken. Das Projekt ist Teil einer Vision für die Stadt Darmstadt für einen integrierten Umwelt- und Biodiversitätsschutz innerhalb des urbanen Raums. Die gute Sichtbarkeit am Standort bietet ganz neues Erlebnis einer grünen Innenstadt, auch aus Sicht der Autofahrer_Innen.

Die vertikale Begrünung kann zudem als Forschungsplattform für ökologische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen genutzt werden. Die Wirksamkeit einer solchen Anlage zur Luftschadstofffiltrierung kann aufgrund von Laborstudien plausibel vermutet werden, einen Wirksamkeitsnachweis im Feldversuch gibt es jedoch bisher nicht. Dies birgt Chancen für den Forschungsstandort Darmstadt: die wissenschaftliche Begleitung und Erbringung eines Wirksamkeitsnachweises von biologischer Luftfilterungstechnik ist hier wie an keinem anderen Forschungsstandort leistbar.

Das hier vorgestellte Konzept hat Akteure aus Wissenschaft, Gesellschaft und Stadtverwaltung vernetzt und einen offenen Lernraum schaffen, auch mit Blick auf zukünftige vertikale Begrünungsprojekte an anderen Standorten in Darmstadt.


Bild: Vertiko GmbH – Fotograf: Bela Namyslik

Dipl. Biol. Kilian Lingen ist Ökologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter der HfWU Nürtingen-Geislingen und Mitarbeiter der Vertiko GmbH; Nach Diplomstudium zu vegetationsökologischen Renaturierungsmaßnahmen lehrte er für zwei Jahre an der TU Darmstadt in Form einer Dozentenstelle im Fachgebiet spezielle Botanik. Vier Jahre lang widmete er sich beruflich der technischen Entwicklung und Umsetzung von Meerwasser-Aquaristik-Anlagen und der Haltung und Anzucht von Korallen. Als Mitgründer von ‚Epiphytus‘ GbR arbeitete er an der Gestaltung von Wandgärten für die Innenraumbegrünung. Seit 2019 arbeitet er bei der Vertiko GmbH, einem Unternehmen für die Entwicklung und Umsetzung von vertikalen Begrünungskonzepten. Seit 2020 arbeitet er parallel als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen – im Rahmen des VertiKKA Projektes an der Weiterentwicklung von Fassadenbegrünung in Kombination mit Grauwasser- und Photovoltaiknutzung.

Dr. Florian D. Schneider (www.fdschneider.de) ist Ökologe und Umweltwissenschaftler; Nach seiner Promotion an der TU Darmstadt zu komplexen ökologischen Netzwerken forschte er am CNRS Montpellier sowie am Senckenberg Biodiversität und Klima – Forschungszentrum in Frankfurt zur Stabilität von Ökosystemen unter menschlicher Nutzung. Er hat einen Lehrauftrag an der TU Darmstadt. Seit 2019 arbeitet er am ISOE – Institut für Sozial-ökologische Forschung in Frankfurt im Forschungsschwerpunkt Biodiversität und Bevölkerung. Dort beschäftigt er sich mit Fragen der kulturellen und ökologischen Bewertung von biologischer Vielfalt, insbesondere im Zusammenhang mit landwirtschaftlicher Nutzung und in urbanen Räumen.

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