»Internationale Sommerakademie und Festival
für zukünftige Formen des Zusammenlebens«
Text von Dieter Krellmann
Auf das Osthang-Projekt des ARCHITEKTURSOMMER RHEIN-MAIN (7. Juli bis 16. August 2014 Mathildenhöhe Darmstadt) werde ich aufmerksam durch die Aussage unter der Überschrift: »Internationale Sommerakademie und Festival für zukünftige Formen des Zusammenlebens«. Über Zukunft nachzudenken zwängt Menschen oft in ein Korsett persönlicher Notwendigkeiten und Ängste. Hier aber soll vorbehaltlos und positiv über zusammen leben gedacht werden: »Thinking together«! Ein beachtliches Vorhaben!
Bei Telefonaten mit Kerstin Schultz, Thomas Schäfer, Berno Odo Polzer und Jan Liesegang, bei denen ich das Terra Preta-Projekt vorstelle, renne ich offene Türen ein: Die Wichtigkeit von Boden, Ernährung, Abwasserentsorgung, Stoffstromkreisläufen und der Zusammenhang mit dem Osthang-Projekt, wird sofort erkannt und begeistert aufgenommen. Eine lebendige ökologische, dezentrale, menschliche Zukunft ohne Terra Preta kann ich mir nur schwer vorstellen.
Die ersten Samen werden in die Anzuchtserde gesteckt.
Mit dem Wissen der wiederentdeckten Terra Preta-Technologie (www.das-gold-der-erde.de, www.palaterra.eu), beginnen wir (eine lose Gruppe junger interessierter Menschen) schon 2 Monate vor Beginn der Summerschool die Hochbeete als Entreé für den Osthang zu bauen. Gemüse, Kräuter, Erdbeeren und Salate für die Studenten sollen zum richtigen Moment für die Küche geerntet werden können.
Die Setzlinge sind in den Hochbeeten.
Ein wichtiger Antrieb für mein Engagement ist es, das Wissen um die Terra Preta do Indio zu verbreiten. Terra Preta ist fermentierte »schwarze Erde«, deren Herstellung aus organischen Abfällen, den Kohleresten von Feuerstellen, wie auch den »Abwässern« der Indios des Amazonasgebietes bestand. Auf den eigentlich kargen Böden (Oxisol/Ferrasol) des Regenwaldes konnte die Ernährung der Einwohner der indigenen Hochkultur nur durch die entstandene wertvolle Terra Preta sicher gestellt werden. Mit dem Eindringen der Europäer ging das alte Wissen verloren. Die Gesellschaft fiel der Zerstörung anheim und der Regenwald wurde wieder zur »grünen Hölle«. Zurück blieben bis heute erhaltene, bis zu 4000 Jahre alte und noch immer höchst fruchtbare Terra Preta. Seit 2005 beschäftigt sich in Rheinland-Pfalz ein Expertenkreis mit Terra Preta. Durch intensive, anwendungsorientierte Forschung gelang es, die einstigen Herstellungsmethoden zu identifizieren und das Verfahren auf einen modernen großtechnischen Maßstab zu übertragen. Das Ergebnis sind hochwertige Humussubstrate, die mit den Eigenschaften der nativen Terra Preta weitgehend identisch sind.
Die Pflanzen fühlen sich wohl.
»Der Garten will den Gärtner sehen«, heißt es und so bin ich regelmäßig dort, ohne dass auf dem Gelände viel passiert. Erst kurz vor dem offiziellen Start beginnt eine fröhliche, konzentrierte Betriebsamkeit: Bodenbegutachtung, Bombensuche, Materialanlieferungen, die ersten Vorarbeiten zum Bau der Main-Hall, bis die Studenten und Tutoren mit lautem »Hallo«, Rucksack und Wanderstiefeln eintreffen. Alle wollen untergebracht und versorgt werden.
Es wird gegossen – die Pflanzen wachsen.
Der Osthang gedeiht und sprießt wie die Pflanzen über sich hinaus. Er wird 2014 mein erweitertes Wohnzimmer, Garten, Erzähl- und Lernort in einem. Begegnung & Bewegung – mit interessierten, ja begeisterten Menschen, die ein Vorhaben vereint, die Neues wissen möchten und versuchen dies so fröhlich wie möglich tun. Es ist in kurzer Zeit ein lebendiger Organismus entstanden, der versucht zu verstehen und wie ein kleines Kind tappst, tastet, lernt und anfängt zu verstehen, eigenständig wird – sich verästelt und verändert.
erste Salate, Zucchinis, Pepperonis und Radieschen werden geerntet.
Es wird geplant, gebaut, diskutiert, gelacht in vielen Sprachen über »Nachhaltigkeit« und »Sinn« und Inhalt nachgedacht. Nebenbei bauen wir mit Hilfe und Kraft der Studenten eine kleine Pflanzenkläranlage, deren gereinigtes Spülwasser aus der Küche zum gießen der Hochbeete dient. Dieses geschlossene System zeigt im Kleinen auf, was im Großen möglich ist und ich bin froh, Teil zu sein – mein Wissen über Terra Preta, Ökologie und Kreisläufe weitergeben zu können. Das Küchenteam ist begeistert am Wuchs, der Qualität und dem Geschmack der gezogenen Pflanzen (es werden allein 250 Salate schnabuliert) und wir reden eifrig über die Verwendung von Kräutern und Blüten in der Festivalküche.
Wir machen eine Kohlrabi-Verkostung mit den französischen Feinschmeckern.
Lecker!
Das Fest geht zu Ende – alle Beteiligten reisen mit leisem »Adieu« und einer kleinen Wehmut ab. Der Garten bleibt, die Struktur bleibt und viele der entstandenen Gebäude stehen in den Herbststürmen, schneebedeckt im Winter und im Frühling wieder unter blühenden Akazien. Es duftet und die Politik ist voll des Lobes über den Zustand des Geländes; nichts wurde zerstört oder gestohlen (ein wenig wurde stibitzt : – ). Viele sagten, es sei verlorene Mühe, im öffentlichen Raum ein Garten zur allgemeinen Nutzung zu gestalten. Das kann ich nicht unterschreiben, da sich über das Jahr sehr viele spannende Gespräche ergeben haben. Gefragt wird: »Warum machst Du das denn eigentlich?« Ich glaube, daß eine bessere Welt pflanzbar ist. Dieser Satz bezieht sich auf die Pflanzen, aber auch auf den Kopf eines Jeden und ich glaube, daß viele der Studenten und Besucher mit einem neuen Blick auf die Welt aus Darmstadt abgereist sind.
Die Bohnen werden geerntet.
Glücklicherweise finden sich Menschen, die sich weiterhin engagieren, die temporär das Café öffnen, Veranstaltungen planen und den Osthang weiter entwickeln wollen. Neue Gedanken fließen ein und ich entscheide mich, das Projekt auch in diesem Jahr zu betreuen.
Die ersten Samen werden in die Anzuchterde gesteckt.